#34: Teeismus ist meine Religion: Was Aufräumen und Teetrinken gemeinsam haben

In Hamburg gibt es einen Laden, der wunderschönes japanisches Geschirr, Tee und Utensilien dafür anbietet. Man kann dort sogar sein eigenes Teehaus bauen lassen. Während ich durch die Reihen stöbere und mich vom Design der Essstäbchen und Teeschalen verzaubern lasse, kommt mir die Idee, dass Teetrinken und Aufräumen ziemlich viel gemeinsam haben. Ich mag es, ungewöhnliche Herangehensweisen ans Aufräumen zu entdecken und hoffe jedes Mal, dass ich dich dadurch dazu inspirieren kann, auch dein eigenes Hab und Gut endlich in Angriff zu nehmen. Der heutige Blogpost ist also eine Hommage ans Teetrinken und ans Aufräumen, enjoy!

 

Der Weg des Tees

Ich erinnere mich, mal ein japanisches Sprichwort gelesen zu haben, das ungefähr so lautete: „Vertraue niemandem, der keine Tasse Tee in sich hat.“ Die Japaner*innen haben es halt einfach drauf, denke ich, als ich diese Weisheit lese und sofort schmunzeln muss. Es stimmt, finde ich: Im Tee liegt eine besondere Klarheit, ja Reinheit. Die japanische Kultur ist bei weitem nicht die einzige, in der das Teetrinken einen so hohen Stellenwert hat: Britische, chinesische oder ostfriesische Teetraditionen stehen dem in nichts nach. Egal wo, Tee steht seit jeher für Harmonie und Wahrheit.

Der Weg des Tees ist ein anderer Name für die japanische Teezeremonie, bei der Gastgeber*in und Gäste zusammenkommen, um frisch zubereiteten Matcha-Tee gemeinsam zu trinken. Die Zeremonie ist immer ein spiritueller Prozess: Die Vorbereitung der Utensilien, das Verrühren des Matchas mit heißem Wasser, der ritualisierte Genuss des Getränks – all das hat zum Ziel, Einkehr und inneren Frieden zu finden. Die Teezeremonie findet gerne in einem speziellen Teehaus statt, das nur mit Tatami-Matten (in Japan typischen Matten aus Reisstroh) und vielleicht Blumen eingerichtet ist. Die schlichte Umgebung soll es erleichtern, den Fokus auf das Innen zu richten.   

 

Tea to stay

Während der Coffee to go paradoxerweise eher Zeit raubt als Zeit schenkt, erweist sich sein in heutigen Cafés leider häufig unterrepräsentierter Bruder, der Tee, als Gegenpol zu jeglicher Hektik und Eile. Auch wenn mittlerweile viel mehr Wert auf die Zubereitung des Kaffees und dessen Herkunft gelegt wird, und sich sogenannte Third-Wave-Cafés allgemeiner – und vor allem meiner höchsteigenen – Beliebtheit erfreuen, muss man doch zugeben, dass der Tee eine ganz andere Qualität, nämlich die der Gemächlich- und Gemütlichkeit mit sich bringt. Er ist gelebte Langsamkeit: Er muss ziehen, er muss abkühlen, er wird gerne in Kannen serviert, aus denen man sich nachschenken kann, kurz: Tee lädt ein zum Verweilen. „Abwarten und Tee trinken“ ist ein Symbol der Entschleunigung. Mit einer Tasse dampfenden Tees in der Hand lässt es sich sofort besser abschalten oder auch reflektieren – je nachdem, was man gerade möchte. Nach dem Motto „Beim Kaffee wird diskutiert, beim Tee gesprochen“ ist Tee auch ein Getränk, das es vermag, Menschen zusammenzubringen und sie zu ermuntern, sich zu öffnen. Dass Tee Wahrheit bringt, erhofft man sich auch, wenn man der Praxis des Teeblätterlesens nachgeht. Bei der sogenannten Tasseographie wird versucht, in den übrig gebliebenen Teeblättern Symbole oder gar Wörter zu erkennen, aus denen die Zukunft der Teetrinkenden abgelesen werden kann. Bist du Harry-Potter-Fan? Dann erinnerst du dich bestimmt an die verheißungsvolle Wahrsage-Stunde, bei der Professor Trewlaney in Harrys Tasse den Grimm auszumachen meinte?! Weitere Analogien zu Harry Potter und dem Thema Aufräumen findest du in diesem Blogbeitrag.

Wenn ich alles bis auf eine Sache aussortieren müsste, wäre es auf jeden Fall eine Tasse und ein Teesieb, die ich behalten würde.

 

Liberté, Égalité, Kräutertee

Würde ich einen Staat gründen, wäre dies ein klarer Favorit für meinen Wahlspruch. Tee (inbesondere aus Kräutern und Gewürzen) ist gesund, vielseitig und kraftspendend. Er ist herzerwärmend und geisterfrischend zugleich und vereint damit zwei Qualitäten, die in unserer heutigen Zeit häufig schwer unter einen Hut zu bekommen sind: Das Herz und den Kopf. Von daher würde ich immer wieder sagen: Tea for president!

Neben dem Teetrinken gibt es aber noch eine weitere Tätigkeit, die das Potenzial hat, uns unseren Gedanken sowie Gefühlen (wieder) näherzubringen: Das Aufräumen. Indem wir das Aufräumen ebenfalls zu einer regelrechten Zeremonie machen (oder eben zu einem Aufräumfest, wie Marie Kondo es nennt), kommen wir diesem Zen-Zustand ziemlich nahe. Ordnungschaffen als Zeremonie bedeutet für mich, an die Vorbereitung (Visualisierung des idealen Lebens) sowie die Durchführung mit Intention und Sorgfalt heranzutreten. Durch das bewusste In-die-Hand-Nehmen der Besitztümer und das In-sich-Hineinspüren während des joy checks kannst du in einen fast schon meditativen Zustand gelangen, der dir – ähnlich wie die Teezeremonie – die Türen zu deiner inneren Weisheit öffnet. Als Belohnung entdeckst du lang vergessene Träume wieder und erkennst, was du wirklich willst – die Essenz deines Daseins. Du findest den Mut und die Kraft, das in die Welt zu bringen, was in dir liegt. So gesehen hilft das Aufräumen nicht nur dir selbst, sondern der ganzen Welt, die im Anschluss dein Geschenk in Empfang nehmen darf. Aufräumen als spiritueller Akt, der der gesamten Menschheit und dem Universum dient? Kannst du damit etwas anfangen?

Natürlich klingt das etwas abgehoben, aber denk doch mal darüber nach: Wenn du dich mit deinem Besitz beschäftigst, beschäftigst du dich mit dir selbst. Du kratzt nach und nach den Staub von deinem Zuhause und deiner Persönlichkeit ab, legst deinen wahren Kern frei. Du lernst, was dir wirklich etwas bedeutet, und was du getrost loslassen kannst. Auf diese Weise wirst du Schritt für Schritt zu der Person, die du wahrhaftig bist, und erkennst, was deine Talente, Fähigkeiten, Leidenschaften und ja, deine Bestimmung im Leben sind. Indem du dich von unnötigen Energieräubern befreist, machst du mehr und mehr Kapazitäten frei, um deiner Berufung folgen zu können. Du handelst jeden Tag mehr im Einklang mit deinen inneren Werten. Selbstverständlich ist dies ein längerer Prozess, aber das „zeremonielle Aufräumen“ – wie ich es jetzt an dieser Stelle, inspiriert vom Weg des Tees, nennen will – kann eben ein erster Schritt dahin sein, dein Licht in die Welt zu bringen. Du magst es weniger allumfassend? Dann sage ich augenzwinkernd: Vertraue niemandem, der sein Haus nicht aufgeräumt hat.

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