#35: 大掃除 Osouji: Was du von der japanischen Tradition am Ende des Jahres lernen kannst

Der Buddhismus und das Shintō sind die zwei großen Religionen Japans. Wie bereits in diesem Blogartikel beschrieben, geht der Shintō davon aus, dass überall in der Natur kami (Geister oder Götter) leben. Kami können demnach alles sein – ein Gegenstand, ein Tier, eine Pflanze, ein Gefühl –, was das Ganze schwer zu fassen macht. Max Wagner schreibt auf seiner Homepage www.japan-box.de: „Kami ist im Grunde eines jener spirituellen Konzepte, die überall und in allem zu finden sind. Es handelt sich um eine mystische Eigenschaft, die dadurch entsteht, dass es keinen direkten Unterschied zwischen der materiellen Welt und der spirituellen Existenz gibt. Viele Gelehrte definieren Kami als alles, was Ehrfurcht einflößt, Exzellenz zeigt oder großen Einfluss hat.“  

In dem heutigen Blogartikel möchte ich dir die japanische Idee vorstellen, am Ende des Jahres gründlich aufzuräumen, und dir zeigen, was dies mit Spiritualität und Produktivitätssteigerung am Arbeitsplatz zu tun hat.

 

年神

Eine Gottheit, die im Shintō verehrt wird, ist Toshigami (年神). Er ist der Gott des neuen Jahres, der zu uns kommt und Glück und Gesundheit bringt. Damit Toshigami zu Besuch kommen kann, muss das Haus dementsprechend vorbereitet werden: Es wird auf besondere Weise geschmückt oder die Bewohnenden kochen ein spezielles Gericht. Am wichtigsten ist allerdings die traditionelle Reinigung, das Osouji. Osouji besteht im Wesentlichen aus zwei Handlungen, susuharai und seiri. Susuharai meint das Putzen der Wohnung und insbesondere das Staubwischen in Ecken, die das Jahr über vernachlässigt wurden. Seiri bezeichnet das Ordnen, also das Aufräumen und Ausmisten von Gegenständen (yes, mein Spezialgebiet! 😉). Osouji wird auch in vielen Unternehmen oder Geschäften in den letzten Tagen des alten Jahres durchgeführt. Allgemein hat das Ordnungschaffen in Japan einen hohen Stellenwert, was man auch daran sieht, dass Schülerinnen und Schüler nach dem Unterricht zusammen dafür verantwortlich sind, das Klassenzimmer wieder herzurichten – hier wird auch der Gemeinschaftsaspekt des Aufräumens betont.

 

Die Fünf-S-Methode

Für die Arbeitswelt lohnt es sich insbesondere, den Bestandteil des Seiri genauer zu betrachten, denn es ist gleichzeitig der erste Schritt der sogenannten „Fünf-S-Methode“, einem ursprünglich aus der industriellen Fertigung stammenden Produktivitätstool. Seiri (Ordnung schaffen), Seiton (Ordnungsliebe), Seiso (Sauberkeit), Seiketsu (persönlicher Ordnungssinn) und Shitsuke (Disziplin) greifen dabei ineinander, um den Arbeitsprozess zu optimieren. Man findet das Konzept auch ins Deutsche übertragen, dann lauten die Begriffe: Sortieren, Systematisieren, Sauberhalten, Standardisieren und Selbstdisziplin. Bei der Methode stehen effizientes Arbeiten und das Aufrechterhalten eines Work-Flows im Vordergrund. Die Verschwendung von Ressourcen soll dabei unbedingt vermieden werden. Bezogen auf den eigenen Arbeitsplatz oder das Homeoffice bedeutet dies, dass zunächst einmal geschaut wird, welche Gegenstände am Arbeitsplatz gebraucht werden, weil sie nützlich oder inspirierend sind (Sortieren). Anschließend bekommt jeder Gegenstand einen festen Platz, an den er nach jeder Benutzung zurückgeräumt wird (Systematisieren). Dann geht es darum, den Arbeitsplatz zu säubern, wobei ich persönlich dazu raten würde, diesen Schritt der ganzen Aktion voranzustellen bzw. ihn regelmäßig im Arbeitsalltag durchzuführen (Sauberhalten). In einem nächsten Schritt soll herausgefunden werden, ob die Anordnung der Gegenstände sinnvoll für die täglichen Routinen ist, hier kann und sollte an Arbeitsabläufe angepasst werden (Standardisieren). Zu guter Letzt sollte man lernen, den Zustand des Arbeitsplatzes so übersichtlich und aufgeräumt zu lassen, wie er jetzt gerade ist. Ein aufgeräumter Arbeitsplatz steigert die Produktivität und ist gleichzeitig gut für die Seele.

 

Winterlicher Frühjahrsputz für die Seele

Die Tradition des Osouji hat nicht nur den Effekt, die Räume von Schmutz und unnötigem Krempel zu befreien, sondern ist auch eine Art der spirituellen Reinigung. Osouji hat einiges gemeinsam mit dem in unseren westlichen Breiten geläufigen Frühjahrsputz, denn auch da geht es darum, sich von altem Ballast zu befreien und frischen Wind hereinzulassen. Aber wer denkt schon beim märzlichen Reinemachen darüber nach, auch die Seele aufzufrischen? Genau wie man das Haus vorbereitet für alles, was da kommen mag, kann man auch sich selbst auf Neues vorbereiten. Indem man sich Zeit nimmt (den Jahresend- oder Frühjahrsputz nicht in letzter Minute startet) und während des Staubwedel-Schwingens über die Ereignisse des vergangenen Jahres nachsinnt, wird das Saubermachen zum wahren Slow Cleaning, das Raum bietet für die bewusste Reflexion und Auseinandersetzung mit den eigenen Wünschen. Zur herzerwärmenden Gemeinschaftsaktion kann Osouji auch werden, wenn man gemeinsam mit der ganzen Familie, den Mitbewohner*innen oder Freund*innen aufräumt, dabei Tee trinkt und tiefgründige Gespräche führt. Egal ob allein oder mit anderen: Wie ich bereits in diesem Blogartikel betont habe, in dem ich für eine Oktoberordnung plädiere, eignet sich das Ende des alten Jahres (oder der Beginn des neuen) einfach am besten dazu, gründlich aufzuräumen, um Kapazitäten freizusetzen für alles, was da kommen mag.

Heartset statt Horten

Vielleicht erkennst auch du in diesem Winter, dass das, was du im Herzen trägst, viel wichtiger ist als die meisten deiner physischen Besitztümer. Nutze diese kraftvollen Dezembertage, um alles loszulassen, was dich kleinhält, aufhält oder abhält und achte wieder mehr auf die Dinge, Menschen oder Momente, die dein Herz höher schlagen lassen. Bei vielem im Leben geht es um das richtige Mindset, also deine Einstellung. Dabei vergisst man oft, dass es ebenso auf das richtige Heartset ankommt. Denn wenn du dich nur mit deinen Gedanken beschäftigst (und das ist schonmal ein richtig toller Start!), kommst du auch nicht weiter. Wie beim Manifestieren ist für das Erreichen deiner Ziele und die Verwirklichung deiner Träume das Zusammenspiel aus Gedanken und Gefühlen notwendig. Wie erschaffst du dir ein positives Heartset? Indem du dich deinen Ängsten stellst. Indem du mutig bist und dich auf starke Emotionen wie Mitgefühl, Dankbarkeit, Liebe, Freude und Vertrauen konzentrierst.

Löse dich von limitierenden Glaubenssätzen, Gegenständen, die deine Energie nach unten ziehen oder dich an etwas erinnern, das dir negative vibes gibt und hör auf damit, an Dingen, Menschen oder einem Bild von dir festzuhalten, das dir nicht länger dient. Stop hoarding bullshit! Mit einem positiven Heartset schaffst du es, dich so zu akzeptieren, wie du bist (und keinen Kram mehr als Bestätigung dafür zu brauchen), und immer offen zu bleiben für die Wunder des Lebens. Mögen auch auf dich im neuen Jahr 2024 zahlreiche Wunder warten.

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