#67: Echte Kerzen am Weihnachtsbaum? Oder: „Was würde ich mitnehmen, wenn das Haus brennt?”

Paradoxon: Wenn mein Haus brennt, würde ich unbedingt die Kerzen retten. Warum? Erfährst du hier!

„Bei uns brennen echte Kerzen am Weihnachtsbaum.“ Wenn ich diesen familiären Brauch offenbare, lässt das meine Mitmenschen nie kalt. Und jedes Jahr aufs Neue jährt sich auch die Kontroverse darüber, ob echte Kerzen am Baum aus atmosphärischen Gründen sein müssen, oder doch absolut unverantwortlich sind und einem anderen Jahrhundert angehören. Die Fronten zwischen Wachs- und Plastikfraktion verhärten sich, da ist es auch nur ein kleiner Kompromiss, eine Lichterkette in den Baum zu hängen… Ein kürzlich so oder so ähnlich erfolgtes Gespräch mit Freund*innen brachte mich zum Nachdenken. (Und zwar nicht nur darüber, ob es nicht sinnvoll wäre, einen Feuerlöscher in Reichweite neben dem Baum zu platzieren…) Ich kam zu einer, wie ich finde, sehr interessanten Frage, nämlich: „Was würde ich mitnehmen, wenn das Haus brennt?“

Diese – rein hypothetische – Frage hat es in sich und bietet einen hervorragenden Anlass, um (mal wieder oder überhaupt das erste Mal) darüber nachzudenken, was uns eigentlich wirklich wichtig ist. (Also von unseren materiellen Dingen. Dass ich den Hund mit hinausretten würde, versteht sich von selbst!) Ich nutze also die vorweihnachtliche Besinnlichkeit, um über meine materiellen Prioritäten nachzudenken und stelle dabei ganz Erstaunliches fest. Wo fange ich an…

Mein erster Impuls ist, dass ich (außer dem Hund) nichts mitnehmen würde. Nichts? Moment mal. Mir bedeutet GAR NICHTS aus meiner Wohnung etwas? Das kann nicht sein! Mir wird klar: So abgebrüht kann selbst ich als Ordnungsexpertin nicht sein. Immerhin bezeichne ich mich als Midimalistin, ich habe also NICHT nichts! Irgendetwas von persönlicher Bedeutung muss ich doch besitzen. Also habe ich nochmal genauer darüber nachgedacht und bin vor meinem geistigen Auge in meiner Wohnung von Raum zu Raum geschlendert…

Ich umgebe mich gerne mit schönen Dingen. Zum Beispiel liebe ich mein Geschirr, insbesondere die Teebecher. Meine Kücheneinrichtung gefällt mir insgesamt wirklich gut. Über die Jahre ist sie gewachsen und nun so, wie ich sie mir wünsche mit Vorratsgläsern, vom Flohmarkt zusammengewürfelten Tellern und Silberbesteck. Trotzdem ist nichts davon unersetzbar. Natürlich wird es schwierig, genau DEN Teller wieder auf dem Flohmarkt zu finden. Aber grundsätzlich ließe sich das alles – auch mit relativ überschaubaren Ausgaben und in relativ kurzer Zeit – wiederherstellen. Mir fällt nur eine Sache in meiner Küche ein, die wirklich teuer war und bei der es mich schmerzen würde, nochmal so viel Geld für sie ausgeben zu müssen: Mein Hochleistungsmixer. Ich benutze ihn täglich und will ihn nicht mehr missen. Doch wäre es nicht ein bisschen albern, im Falle eines Wohnungsbrandes, den Standmixer mit nach draußen zu retten? Zahlt so etwas nicht vielleicht sogar die Versicherung? Würde ich dafür eine Extraversicherung abschließen? Nö! Letztendlich kann ich sagen, dass selbst der Verlust dieses teuren Küchengegenstandes mein Leben nicht sonderlich verschlechtern würde.

Schnell wird klar, dass ich höchstwahrscheinlich zu meiner Tasche greifen würde, die immer an derselben Stelle hängt und in der sich mein Portemonnaie samt Ausweis und Bankkarte befindet. Falls ich in dem Moment, in dem meine Wohnung in Flammen aufgeht, besonders geistesgegenwärtig sein sollte, würde ich auch noch mein Handy schnappen und ab dafür. Tja, so unromantisch wie das klingt, das Smartphone ist schon wichtig. Schließlich will ich a) alle wichtigen Nummern noch haben und b) dass im Alltag die Dinge reibungslos funktionieren. Deutschlandticktet vorzeigen zum Beispiel oder in irgendwas einloggen, wofür man eine Zweifaktor-Authentifizierung braucht und so weiter! Du verstehst hoffentlich, was ich meine. Klar wäre es auch praktisch, den Laptop noch bei sich zu haben. Aber, es geht hier um eine Priorisierung, deswegen sage ich ganz klar: Firewall deaktivieren!

Meinen Kleiderschrank würde ich komplett den Flammen übergeben, haha. Klingt fies, aber nichts davon ist mir wirklich heilig. Wobei, STOPP! Mir fallen doch zwei Kleidungsstücke ein, die ich mitnehmen würde. Zum einen ist das ein Strickpullover, den meine Mutter, meine Schwester und ich bei einem gemeinsamen Bummel in einem Second Hand-Geschäft gefunden haben. Es war zufällig an meinem Geburtstag und mir gefiel der Pulli spontan so gut, dass sie ihn mir schenkten. Ein Pullover mit Erinnerungen also, der ein warmes Gefühl in mir auslöst. Zum anderen ist es ein Oberteil, das meine Mutter selbst früher getragen hat und bei dem ich lediglich die Schulterpolster rausgeschnitten habe. Ich trage das Oberteil sehr gerne und fühle mich dann irgendwie mit meiner Mutter verbunden. So etwas kann man nicht nachkaufen oder anderweitig ersetzen. Wenn ich so darüber nachdenke, sollte ich diese beiden Teile wirklich öfter tragen…

Bevor er verbrennt, würde ich definitiv den Schmuck retten, den ich von meiner Großmutter zum Abitur geschenkt bekommen habe. Er ist nicht nur wunderschön, sondern als Erbstück natürlich besonders wertvoll für mich und soll auf jeden Fall solange bei mir sein, bis ich ihn weitervererben oder -verschenken will.

Werfen wir noch einen Blick ins Wohnzimmer. Oh, meine Pflanzen, ich liebe sie. Aber würde ich sie mitnehmen? Mal abgesehen davon, dass es logistisch ziemlich aufwendig bis unmöglich ist, würde ich wahrscheinlich davon absehen, weil nichts davon wirklich essenziell ist. Tut mir leid, Forellenbegonie! Natürlich hat es mitunter Jahre gedauert, bis Monstera, Efeutute und Co. so groß waren und sich so schön rankten wie heute. Allerdings kann man bei Kleinanzeigen Ableger in allen Varianten finden oder man hat liebe Freund*innen, die einem aushelfen können, oder man kommt einfach auch ohne 27 Zimmerpflanzen klar. Also ich denke, ich würde auch ohne klarkommen. Temporär versteht sich.

Selbst an meinen Büchern hänge ich nicht besonders. Und das mag die ein oder andere verwundern, die mich ein bisschen besser kennt oder vielleicht meine Bücherliste mitverfolgt, in die ich alle Bücher eintrage, die ich so lese, denn ich liebe lesen, lese viel und oft (dieses Jahr waren es über 80 Bücher!). Trotzdem verfolge ich lose ein Konzept, das ich „wandelbares Bücherregal“ nennen möchte. Das bedeutet, dass ich Bücher, die ich gelesen habe, meistens sofort wieder aussortiere, also entweder in einen Bücherschrank stelle, über Momox wieder verkaufe oder an jemanden weitergebe. Selten kommt es vor, dass ein Buch erstmal bei mir im Regal bleibt, weil es mir so viel bedeutet oder ich später nochmal etwas nachlesen will. Auf diese Weise umfasst mein Regal etwa zehn bis zwanzig Bücher, darunter all time favorites, die bleiben, und eine sich permanent ändernde Auswahl an aktueller Lektüre. Ich würde also auch hiervon nichts zwangsläufig vor dem Feuertod bewahren. Denn ich habe nichts Antiquarisches, Vererbtes oder mit Widmung Versehenes, sodass auch hier nichts wirklich unersetzbar ist.

Was hingegen viel wichtiger wäre und wohl auch tatsächlich so wichtig für mich, dass ich es unbedingt unter den Arm klemmen würde, wenn die Bude lichterloh brennt, ist die Box mit gesammelten Postkarten und Briefen von lieben Menschen sowie Fotos und anderen Erinnerungsstücken. Ich wäre doch sehr traurig, wenn all die Erinnerungen (oder zumindest Erinnerungs-Anstupser, denn die Erinnerungen verbrennen ja nicht), gelöscht wären. Ja, diese Box stimmt mich sentimental und ihr Inhalt bedeutet mir viel.

Also, noch einmal zusammengefasst, würde ich im Falle eines Wohnungsbrandes wohl Folgendes retten:

-          Meinen Hund.

-          Meine Tasche mit Portemonnaie und Smartphone.

-          Meine zwei Lieblingskleidungsstücke.

-          Den Schmuck meiner Oma.

-          Die Box mit Erinnerungsstücken.

Gar nicht viel eigentlich. Was meinst du, wie viel es bei dir wäre? Selbstverständlich ist mir klar, dass ich, sollte es mal brennen, höchstwahrscheinlich nicht die Gelegenheit dazu haben werde, diese Dinge zu retten. Aber es ist ein spannendes Gedankenexperiment, findest du nicht?

Mich hat dieses Gedankenexperiment erkennen lassen, dass

- mein Besitz in seiner Gesamtheit zwar schon – und auch wesentlich – in Form von Einrichtung und Atmosphäre meines Zuhauses zu meinem Wohlbefinden beiträgt, dass die einzelnen Gegenstände für sich genommen aber gar nicht so wichtig sind (z.B. Teebecher).

- es nicht einmal besonders relevant ist, ob ein Gegenstand bei der Anschaffung teuer gewesen ist (z.B. Standmixer).

- Kleidung überbewertet wird (auch von mir selbst) und im Zweifel ganz wenige Teile ausreichen, um mich glücklich zu machen (z.B. ein Strickpullover, der mir ein Gefühl von Geborgenheit gibt).

- Smartphone und Portemonnaie, so schnöde es ist, wahrscheinlich für alle Menschen die meistverwendeten Dinge und in unserem heutigen Alltag kaum mehr wegzudenken sind (wobei, wenn ich so darüber nachdenke, könnte ich das Portemonnaie wahrscheinlich auch direkt streichen, weil alles früher oder später nur noch über das Smartphone läuft*).

- ich mich jederzeit wieder für ein „wandelbares Bücherregal“ und gegen kistenweise Lagerbestand entscheiden würde.

- die wertvollsten Dinge mit Erinnerungen und Gefühlen verknüpft (und daher sehr subjektiv) sind.

 

Impuls für dich: Durchstöbere gerne ebenfalls mal deine Räume, egal ob geistig oder in echt, und schau, was du im Falle eines Feuers unbedingt mitnehmen würdest. Auf diese Weise wirst du dir darüber im Klaren, wie viel/was dir wirklich etwas bedeutet.

Vielleicht hilft dir diese Übung auch dabei, Dinge loszulassen. Denn wie ich immer wieder feststelle: Wir brauchen viel weniger, um ein erfülltes Leben zu leben, als wir gemeinhin annehmen. Und das, was wir brauchen, ist total individuell. Für mich sind es zum Beispiel echte Kerzen auf dem Weihnachtsbaum! Merry Christmas! 🎄

 

*Der Gedanke, dass alles, wirklich alles, übers Smartphone läuft, brachte mich wiederum zu der Frage, was wäre, wenn ausgerechnet das Smartphone es nicht aus dem theoretisch brennenden Haus schaffen würde. Oder anders gefragt: Wie schaffe ich es, mich weniger abhängig von diesem Gerät zu machen? Eine Möglichkeit wäre, die Dienste, die uns dieses Gerät erweist, wieder bewusst auf viele verschiedene Geräte aufzuteilen. Man könnte sich statt eines Smartphones auch so aufstellen:

- Ein herkömmliches Handy (ohne Internetzugang, nur zum SMS-Schreiben und Telefonieren).

- Eine Kamera oder ein Fotoapparat.

- Ein ausgedrucktes Ticket/eine analoge Fahrkarte.

- Ein analoges Adressbuch für Kontakte.

- Ein analoges Notizbuch.

- Ein Straßenplan.

- Ein Ipod.

- …

Man kann die eigene Abhängigkeit vom Smartphone aber auch erstmal auf mentaler bzw. emotionaler Ebene angehen, wenn es darum geht, sich nicht so sehr vom Gerät selbst als vielmehr von seinen manipulierenden Eigenschaften befreien zu wollen. Dazu, also zum Digitalen Entschlacken (Digital Decluttering oder Digital Detox) schreibe ich demnächst hier auf meinem Blog. Also schau gerne mal wieder rein! 😊

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