#39: „Happy old year” – Diesen Film darfst du nicht verpassen, wenn du entrümpeln willst!

Happy Old Year ist ein thailändischer Film, der Weihnachten 2019 herauskam und den ich zufällig kürzlich auf Netflix entdeckt habe. Meine Schwester und ich fühlten uns von der Kurzzusammenfassung angesprochen und waren von Minute eins an fasziniert von diesem Film, bei dem wir bis zum Schluss nicht wussten, in welchem Land er spielt. Er war der erste thailändische Film, den ich je geschaut habe – und ist allein deswegen schon sehenswert. Viel witziger war es jedoch, als sich ziemlich schnell herausstellte, dass es in dem Film ums Entrümpeln geht, und dass Marie Kondo an mehreren Stellen erwähnt und zitiert wird. Einmal sieht man sogar einen Ausschnitt einer Fernsehsendung im Hintergrund, in der Marie Kondo offensichtlich gerade mit einer Person aus Russland aufräumt. Eine solche Folge habe ich nie gesehen, die NETFLIX-Serie von Marie Kondo spielt meiner Meinung nach in den USA – um welche in Deutschland unveröffentlichte Sendung könnte es sich also handeln? Du siehst, ich war sofort angefixt. Deswegen möchte ich heute eine kleine Filmkritik mit dir teilen. Und eine deutliche Empfehlung!

 

Die Geschichte

Im Film geht es um die etwa 30-jährige Hauptperson Jean, die nach einem dreijährigen Auslandsaufenthalt in Schweden zurück in ihre Heimatstadt Bangkok kommt und nun vorhat, die elterliche Wohnung, zu der noch eine ehemalige Musikschule gehört, in ein minimalistisches Büro und Appartement zu verwandeln. Momentan ist die Wohnung noch über und über vollgestellt mit Dingen, die niemand mehr benutzt. Zum Beispiel stehen Instrumente herum, obwohl die Musikschule nicht mehr betrieben wird. Aber auch sonst steht so gut wie jeder Quadratzentimeter voll, sodass die Mutter nicht mal mehr auf ihrem Bett schläft, sondern auf einem Schreibtischstuhl. Trotzdem sind die Mutter und Jeans jüngerer Bruder Jay zuerst nicht begeistert von der Idee. Der Vater ist nicht da, Jay lässt sich dann doch überzeugen, also beginnt Jean gegen den Widerstand ihrer Mutter, nach und nach alles in Müllbeutel zu stecken. Während dieses Prozesses wird Jean mit ihrer Vergangenheit konfrontiert, was einige Konflikte zwischen ihr und anderen Personen, unter anderem ihrem Exfreund Aim, auslöst und alten Schmerz zutage fördert.

 

Die sechs Schritte

Wie entrümpelt man erfolgreich? Jeans Ziel ist ein minimalistisches Loft, das ihre Freundin Pink, die anscheinend Innenarchitektin ist, für sie umsetzen soll. Zunächst muss aber sämtlicher Krempel aus der Wohnung. Um bei einem solchen Mammutprojekt nicht den Überblick zu verlieren, sollte man schrittweise vorgehen. Das erkennen auch die Macher*innen des Films, der in sechs Schritte zum erfolgreichen Entrümpeln aufgeteilt ist:

Schritt 1: Ziele setzen und Inspiration finden

Schritt 2: Nicht in Erinnerungen schwelgen

Schritt 3: Nicht zu emotional werden

Schritt 4: Nicht zögern, konsequent bleiben

Schritt 5: Nichts Neues anschaffen

Schritt 6: Nicht zurückblicken

Schnell wird klar, dass diese Schritte nicht ganz ernst gemeint sind. Schritt eins klappt noch gut, doch schon bei Schritt 2 und 3 passiert das genaue Gegenteil: Jean versenkt sich in Erinnerungen und lässt Gefühle zu. Bei Schritt 4 „Nicht zögern, konsequent bleiben“ sehen wir Jean, die einem Mann vom Entrümpelungsservice hilft, Müllsäcke auf dessen Lastenrad zu hieven. Scheinbar bezahlt der Mann für die Anzahl der Säcke einen Pauschalpreis, ohne den Inhalt zu kennen. Das ist typisch für Haushaltsauflösungen und eine super Sache, weil Jean so wenigstens noch etwas verkaufen kann und es gleichzeitig schnell weg ist. In der nächsten Szene sehen wir Jean allerdings, wie sie dem Mann mit dem Lastenrad hinterherrennt, und am Ende alle Müllsäcke wieder zurückgekauft hat. Konsequenz sieht anders aus! Auf die Frage, wieso sie alles wieder zurückbringt, antwortet sie „Ich weiß es nicht.“

Ich mag es, dass mit den Schritten zum erfolgreichen Entrümpeln recht selbstironisch umgegangen wird. Schließlich sollen solche Schritte – die vergleichbar mit den Grundregeln der KonMari® Methode sind – das Aufräumen erleichtern, aber nicht dogmatisch über allem stehen. Ich denke, die Schritte aus dem Film stellen dar, was Jean vor dem Entrümpelungsprozess von diesem erwartet hat. Beziehungsweise wie ihrer Meinung nach das Ordnungschaffen funktionieren kann. Nämlich, indem man möglichst emotionslos oder gar ungesehen alles in blaue Müllsäcke stopft. Dass Entrümpeln so nicht funktioniert, merkt der/die Zuschauer*in schnell, Jean braucht vielleicht ein bisschen länger.

 

Müll

Aus Sicht einer KonMari® Consultant muss ich sagen, dass Happy Old Year auf jeden Fall die richtigen Fragen aufwirft. Vor allem Jeans Bruder Jay ist Fan von Marie Kondo und durchschaut schnell das Konzept von „Does it spark joy?“, über das die beiden sich auch immer wieder unterhalten. Als ihre Freundin Pink sie fragt, warum sie eine bestimmte Sache nicht verkaufen oder spenden will, antwortet Jean: „Ich bin müde. Wenn ich sie heute wegwerfe, ist sie heute weg.“ Ich finde, hier trifft Jean einen wahren Punkt, der selten diskutiert wird. Wir versuchen alle im Sinne der Nachhaltigkeit grundsätzlich Dinge zu verkaufen oder zu spenden, damit sie einen möglichst langen Lebenszyklus haben. Wenn es dann bei der ein oder anderen Sache so ist, dass man zu erschöpft ist, um sich noch mit der Frage auseinanderzusetzen, wer etwas damit anfangen oder wohin man die Sache geben könnte, finde ich es auch mal in Ordnung, wenn man einfach mal etwas wegschmeißt. Denn ich verstehe sehr gut, wie belastend es ist, wenn man den Krempel nach einer riesigen Ausmisteaktion auch am nächsten Tag noch im Haus hat.

 

Schmerz

Eine tolle Idee finde ich, dass Jean anfängt, alle möglichen Sachen an ihre ursprünglichen Besitzer*innen zurückzugeben. Zum Beispiel hat Jean eine Kamera plus Filme von ihrem Exfreund. Außerdem steht noch ein Kontrabass in der Musikschule, der einer Bekannten gehört. Doch bei den Empfänger*innen ist es nicht selten ein schmaler Grat zwischen Freude über das Wiedersehen (mit der Sache aber auch mit Jean) und dem tiefen Wunsch, die Vergangenheit einfach Vergangenheit sein zu lassen und keine alten Wunden aufzureißen. Als das Paket mit der Kamera beispielsweise, das sie ihrem Exfreund schickt, abgelehnt wird und zu ihr zurückgesendet wird, muss sie lernen mit diesen neuen Gefühlen umzugehen. Sowieso kommt es durch den Entrümpelungsprozess natürlich immer wieder zur Auseinandersetzung mit vergangenen Entscheidungen. Oft kommen schmerzende Gefühle hoch, denen Jean sich stellen muss. Schmerz gehört zum Entrümpeln – und auch zum Aufräumfest nach KonMari® – einfach ein Stück weit dazu. Die wenigsten von uns werden alle ihre Angelegenheiten so sauber abgewickelt haben, dass sie nicht auch mal etwas bereuen oder zumindest wehmütig darauf zurückblicken. Ich finde, so ein Schmerz kann auch ein toller Katalysator sein, die Chance, es dieses Mal besser zu machen. Dieser Aspekt wird meiner Meinung nach auch ziemlich gut im Film dargestellt, denn auch Jean fühlt sich am Ende erleichtert, dass sie sich selbst nochmal mit Einigem konfrontiert hat und so die Möglichkeit hatte, es zum Besseren zu wenden.

 

Festhalten vs. Loslassen

Jeans Vater hat, so kommt später raus, die Familie verlassen. Sein altes Klavier wird zum Sinnbild für die glückliche Zeit, die sie gemeinsam als Familie hatten. Jeans Mutter möchte die traurigen Gefühle einfach vergessen, wegstecken und die schönen Erinnerungen festhalten. Sie lebt so, als könnte der Vater jeden Moment wiederkommen und sich an das Klavier setzen und darauf spielen. Jean hingegen möchte weitermachen, nach vorne schauen. Sie denkt, jetzt sei die Zeit ihrer Generation gekommen, Zeit für etwas Neues. Das Klavier muss deshalb für sie wie selbstverständlich weg. Ich finde, hier werden schön die grundverschiedenen Herangehensweisen an Schmerz dargestellt. Dass dabei keine über die andere gestellt wird, finde ich richtig. Jeder Mensch hat das Recht, auf seine eigene, individuelle Art mit Trauer umzugehen. Dass Jean das Klavier entgegen des Willens der Mutter verkauft, finde ich nicht gut. Man kann nicht für einen anderen Menschen loslassen. Jeder hat seine eigenen Coping Strategien. Nicht nur deswegen gilt bei der KonMari® Methode grundsätzlich, dass man nur den eigenen Besitz aufräumt, niemals die Sachen der anderen!

 

Tabula Rasa

Mit ihrer minimalistischen Vision im Kopf will Jean zwischenzeitlich immer mal wieder reinen Tisch machen. Dabei respektiert sie nicht immer die Meinungen ihrer Mitmenschen. So entscheidet sie beispielsweise über den Kopf der Mutter hinweg, was mit dem Klavier passieren soll. Und auch ihre Freundin Pink wirft Jean vor, kein Mitgefühl zu haben, zu übersehen, dass andere nicht so leicht loslassen können wie sie. Als Pink ein Geschenk von ihr an Jean im Müll sieht, wird sie traurig. Erst als Jean später das Gleiche mit ihrem Bruder passiert (der hatte gerade ein Geschenk von Jean aussortiert), versteht sie und gesteht sich ein: „Es tut weh.“

Sie lernt, dass scheinbar unbedeutende Sachen im nächsten Moment Bedeutung haben können, als ihr Exfreund Aim zu einem Foto sagt: „Es war ein ganz normales Foto, jetzt ist es so besonders – gut, dass ich es aufbewahrt habe.“ Das Foto zeigt ein befreundetes Paar, bevor es zusammengekommen ist. Die beiden Personen hatten mitbekommen, dass Jean aufräumt und wollten unbedingt das Foto für ihre bevorstehende Hochzeit haben.

Über die Betrachtung eines anderen Fotos wird Jean ganz rührselig: Es zeigt ihren Vater (am Klavier), ihre Mutter, ihren Bruder und sie bei einer Geburtstagsfeier – glücklich. Sie wundert sich selbst, wie glücklich sie doch gewesen sind bei all den Streits, die sie ausgefochten haben. Das bringt sie auf die Idee, immer ein solch harmonisches Foto in der Tasche zu haben, das man bei einer Auseinandersetzung zücken und zeigen kann, damit alle sich ganz schnell wieder erinnern, dass sie sich eigentlich lieb haben.

Ein guter Tipp, der nicht funktionieren würde, wenn man auch im Bereich Fotos Tabula Rasa machen würde.

 

Emotionen

Happy old year, der Titel transportiert eine gewisse Nostalgie. So nach dem Motto: Früher – im alten Jahr – war alles besser. Er könnte aber auch bedeuten, dass ein neues Jahr startet und trotzdem irgendwie alles beim Alten bleibt. Ich verstehe den Titel so, dass Jean sich beschließt, alles neu zu machen (new year) und dabei feststellt, dass sie sich erstmal mit dem Alten auseinandersetzen muss (old year). Denn Aufräumen ohne Konfrontation mit vergangenen Entscheidungen gibt’s nicht bzw. kratzt nur an der Oberfläche. Und letztendlich versteht sie so, dass ihr altes Leben gar nicht so schlecht ist. Das ist aber nur möglich, wenn man sich während des Ausmistens auch mal erlaubt, tiefer in die Vergangenheit einzutauchen. Ich denke deshalb, dass die Schritte 2, 3, 4 und 6 nicht zum erfolgreichen Entrümpeln gehören. Im Gegenteil ist es umso wichtiger, auch mal in Erinnerungen zu schwelgen, Emotionen zuzulassen, innezuhalten (zu zögern) und zurückzublicken. Nur mit einem klaren Blick auf das, was gewesen ist, kann man sich neu ausrichten auf das, was kommen mag. Sei dir bewusst, was in deiner Vergangenheit gewesen ist. Sie macht dich zu dem Menschen, der du heute bist. Dann schließe sie auf faire Weise ab und widme dich mit ganzem Herzen deinem Leben im Hier und Jetzt.

 

Fazit

Der Film erwies sich als höchst interessant, zum Nachdenken anregend, mutig, kontrovers, aber auch unterhaltsam. Des Weiteren meine ich aus dem Film eine kleine Kritik am Minimalismus herauszuhören, die meiner eigenen Sichtweise entspricht. Am Ende wirkt Jean nämlich erstmal ziemlich niedergeschlagen. Und ihre Antwort auf die Frage der Journalistin, was hier vorher gewesen wäre, lässt tief blicken: Es war einmal ein Zuhause (home), sagt sie, nun sei es ein Arbeitsplatz (work space). Haucht man durch die Umstellung auf Minimalismus dem Zuhause alles Leben aus? Meine persönliche Meinung kannst du in diesem Blogbeitrag nachlesen. Happy old year zeigt die vielen verschiedenen Facetten und die Komplexität des Entrümpelns. Eine tiefgehende Auseinandersetzung – großes Lob! Ich empfehle dir diesen Film immer – insbesondere aber, wenn du dich gerade mit der Frage auseinandersetzt, ob und wie du dein eigenes Leben entrümpeln solltest. Er liefert dir bestimmt viel Inspiration für deinen eigenen Prozess.

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#40: So wirst du zur Minimalista: 5 Schritte zu mehr Klarheit und Ordnung

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