SUDDENLY I SEE

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#46: Die Kunst, die Dinge des Lebens zu regeln oder: Aufräumen weit vor dem Tod

Schon im Zeitalter des Barock wurde gemahnt: Memento mori. Nutze die Kraft der Sterblichkeit, um das beste aus deinem Leben zu machen!

Vor ein paar Jahren habe ich ein nettes Buch der über achtzigjährigen Schwedin Margarete Magnusson gelesen, in dem es um die in Schweden wohl recht verbreitete Tradition geht, sein Hab und Gut aufzuräumen, wenn man ein gewisses Alter erreicht hat. Frau Magnussons Kunst, die letzten Dinge des Lebens zu ordnen erzählt vom Döstädning, auch Swedish Death Cleaning genannt, dessen Grundidee ist, die nachfolgende Generation nach dem eigenen Ableben nicht mit unnötigem Krempel zu belasten. Das Buch hat mich damals schon inspiriert, doch seit ein paar Wochen wächst nun das Bedürfnis in mir, mich mal näher mit dem Thema Tod auseinanderzusetzen. In meinem Fall schreibender Weise. Und dann sagte eine Kollegin, mit der ich auf einer Messe das Thema Ordnungscoaching präsentierte, zu einer Interessentin an unserem Stand: „Wir denken, wenn wir all unsere Dinge aufgeräumt haben, müssten wir sterben. Doch das Gegenteil ist der Fall, wenn wir aufgeräumt haben, leben wir auf.“ Da wusste ich, es ist Zeit.

 

Was der Tod uns über das Leben beibringt

Ganz viel. Was eigentlich auch jeder weiß. Zum Beispiel, dass wir nach Möglichkeit jeden Augenblick genießen sollten. Ja, schon klar, Carpe Diem ist so ausgelutscht wie Live, laugh, love. Wir sind zudem noch sooo weit Weg vom Tod. Wir befassen uns echt ungern jetzt schon damit. Allerdings kann die Beschäftigung mit der eigenen Endlichkeit ein wahrer Gewinn sein. Wenn wir uns wirklich einmal auf die Vorstellung einlassen, wir könnten (wir werden!) eines Tages sterben, können wir daraus ableiten, was wir uns für unser jetziges Leben wünschen. Denn wir sind ja noch da. Von hinten gedacht, kann man darüber nachdenken, wie das eigene Leben aussehen müsste, damit man auf dem Sterbebett nicht voller Reue ist, sondern sagen kann: Ich habe mein Leben voll ausgekostet! Trau dich und stell dir mal diese Fragen: Wie müsste mein Leben aussehen, damit ich einmal sagen kann, dass es sich gelohnt hat? Dass ich ein erfülltes Leben hatte? Dass ich es immer wieder so machen würde?

In ihrem wundervollen Buch 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen berichtet die Australierin Bronnie Ware von dem, was ihr die Sterbenden, die sie in deren letzten Tagen und Stunden begleitet hat, am Ende des Lebens anvertrauten. Dabei waren sich alle erstaunlich einig: Sie wünschten sich allesamt, weniger gearbeitet zu haben. Sie wünschten, sie hätten den Kontakt gepflegt zu Menschen, die ihnen wichtig waren. Und sie wünschten, sie hätten weniger auf die Meinung anderer gegeben und sich stattdessen selbst verwirklicht. Ist das nicht schön? Weniger arbeiten, stattdessen mehr Selbstverwirklichung und Beziehungen zu anderen pflegen. Was für ein gutes take away! Die Lektüre des Buches zieht einen nicht herunter, im Gegenteil, sie bringt Hoffnung und Mut für die Lebenden. Ein beeindruckendes und mitreißendes Buch.

 

Aufräumen (weit) vor dem Tod

Je älter man wird, desto immaterieller werden die eigenen Wünsche. Größer in gewisser Weise schon. Man wünscht sich immerwährende Jugend, Gesundheit, vielleicht eine tolle Reise. Materielles tritt in den Hintergrund. Entweder weil man eh schon alles irgendwie hat oder hatte. Oder weil man begreift, dass das Leben flüchtig ist und man sich nicht festzuhalten braucht an Gegenständen. Das Glück liegt schließlich in uns und nicht in irgendeiner Schublade. Döstädning oder eben Swedish Death Cleaning bedeutet, dass man seinen Besitz durchgeht, Unwesentliches von Wesentlichem trennt und sich überlegt, was man seinen nächsten Angehörigen hinterlassen möchte. Die komplette Haushaltsauflösung will eigentlich niemand seinen Liebsten aufbürden. Doch wenn man sich nicht mit der Eventualität des eigenen Todes beschäftigt, verpasst man leicht den Moment, an dem man noch selbst entschlacken und entpacken, löschen und wegwerfen kann. Oder auch umgekehrt: An dem man sich bewusst dafür entscheiden kann, was weitergegeben, was erzählt, in welches Geheimnis eingeweiht werden soll. Mal abgesehen davon, dass der Todesfall in jedem Alter plötzlich eintreten kann, lohnt sich das Döstädning auch völlig unabhängig vom Tod. Wenn dieser an die Tür klopft, verspüren wir sicher eine größere Dringlichkeit, die letzten Dinge unseres Lebens zu regeln. Doch Margareta Magnussons Buch richtet sich nicht nur an Menschen über Achtzig. Durch Aufräumen machen wir uns das Leben einfacher, egal wie alt wir sind.

Swedish Death Cleaning kann im Hier und Jetzt tatsächlich echte Vorteile bringen und uns bei der Entscheidung helfen, welche Dinge wirklich wichtig sind und wovon wir uns trennen möchten. Es ist weniger eine düstere Aufgabe am Lebensende, als eine skandinavische Variante der KonMari® Methode. „Manchmal merkt man einfach, dass man die Schubladen oder die Schranktür kaum schließen kann“, schreibt Magnusson. „Wenn das passiert, ist es definitiv an der Zeit, etwas zu tun, auch wenn man erst in den Dreißigern ist.“

Zum Swedish Death Cleaning gehört:

-          Kleidung ausmisten.

-          Gegenstände durchgehen, die den meisten Platz beanspruchen.

-          Digitale Daten organisieren.   

-          Dokumente und Passwörter für Angehörige zugänglich machen.

 

Eine gesunde Endlichkeitskultur

Ressourcen sind endlich, das wissen wir. Wir denken dabei an Öl oder Holz. Woran wir weniger denken, ist die Ressource Zeit. Besser gesagt: Unsere Lebenszeit. Dabei geht es weniger um Quantität als um Qualität und also immer um die Frage: Wie können wir unsere Lebenszeit qualitativ hochwertiger gestalten?

Colors of Death bezeichnet sich selbst als Denkfabrik. Die Denkfabrik hat sich zum Ziel gesetzt, die Ressource Lebenszeit zu schützen. Auf ihrer Homepage heißt es: „Unser Zeitwert manifestiert sich in den Entscheidungen, die wir treffen, den Beziehungen, die wir pflegen und den Erfahrungen, die wir sammeln. Wenn wir uns der Begrenztheit bewusst sind, wird der Zeitwert zu einer Leitlinie, die uns dazu ermutigt das Beste aus jeder Sekunde herauszuholen. Es entsteht eine Sensibilität für die Qualität unserer Zeit, da wir erkennen, dass wir nicht unendlich viele Gelegenheiten haben.“ Der Tod als Mutmacher sozusagen. Ich finde das schön. Schon die Namensgebung Colors of Death nimmt dem Tod seine Schwärze, seine Dunkelheit. Die Ressource Zeit wertzuschätzen führt automatisch zu einer Haltung der Dankbarkeit, die wiederum zu einem Füllegefühl führt. Wenn wir uns über all das bewusst sind, wofür wir dankbar sein können, werden wir auch den Reichtum des Lebens wieder deutlicher spüren.

Die Denkfabrik bietet Workshops für Privatpersonen und Unternehmen zu Themen wie Tod, Trauer oder Vorsorge an. Ihre Mission ist, eine gesunde Endlichkeitskultur zu etablieren, also den Menschen bewusst zu machen, dass ihre Zeit auf Erden endet und sie dadurch zu empowern, ein achtsames und selbstbestimmtes Leben zu führen. Im Prinzip genau das, was ich auch durch das Ordnungscoaching erreichen will. SUDDENLY I SEE meint genau das: Erkennen, dass man nur ein Leben hat, und endlich wissen, was man damit anstellen will.

Passend dazu habe ich hier noch ein schönes Zitat für dich:

„Wir haben zwei Leben und das zweite beginnt, wenn du erkennst, dass du nur eins hast.” – Mario de Andrade